Das Zertifizierungssystem beendet seine Zusammenarbeit mit der Azura Group und erklärt, dass Unternehmen in den besetzten Gebieten künftig keine Zertifizierungen mehr erhalten werden.
In den stillen Gewässern der Dakhla-Bucht, am östlichen Rand der Halbinsel, die sich von der Westsahara bis zum Atlantik erstreckt, betreibt das französisch-marokkanisches Agrarunternehmen Azura Aquaculture seit Jahren Muschelzucht mit Genehmigungen der marokkanischen Regierung.
Nach Ansicht internationaler Gerichte gehören jedoch weder das Land noch diese Gewässer zu Marokko.
Sechs Jahre lang profitierte die Tochtergesellschaft der Azura Group in Dakhla von der Zertifizierung, die von vielen als Goldstandard im Aquakultursektor angesehen wird: dem ASC Label des Aquaculture Stewardship Council (ASC) mit Sitz in den Niederlanden. Diese Ära ist nun jedoch vorbei.
Am 1. Dezember teilte Alastair Dingwall, Chief Technical Officer des ASC, Western Sahara Resource Watch (WSRW) mit, dass Azura „nach Ablauf der Zertifizierung nicht mehr für eine Verlängerung in Frage kommt und potenzielle neue Teilnehmer nicht in das Programm aufgenommen werden“.
Das Unternehmen schreibt, dass es „gestützt auf die Position der Vereinten Nationen“ zu dem Schluss gekommen ist, dass für die Tätigkeit in der Westsahara ein Prozess der verstärkten Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte erforderlich sei.
Da ASC derzeit einen solchen Prozess nicht durchführen könne, werde es „die Programmaktivitäten in der Westsahara einstellen“, bis die Ressourcen eine ordnungsgemäße Bewertung ermöglichen – oder bis „der Prozess der Selbstbestimmung in dem Gebiet abgeschlossen ist“, schrieb das Unternehmen in dem Brief an WSRW.
Das aktuelle ASC-Zertifikat von Azura läuft am 3. Juli 2026 aus. Marokko treibt den Ausbau der Aquakultur in dem Gebiet voran, doch keines der geplanten Projekte wird eine ASC-Zertifizierung erhalten.
„ASC hat klar Verantwortung übernommen. Sie setzen sich damit stark ab von anderen Zertifizierungssystemen, die grundlegende Fragen nicht beantworten, dokumentierte Fehler ignorieren oder grundlegende Mängel in ihren Zertifikaten unter den Teppich kehren“, sagte Erik Hagen von Western Sahara Resource Watch.
Anfang Oktober kam LSQA – eine teilweise in österreichischem Besitz befindliche uruguayische Zertifizierungsstelle – nach der Bewertung eines der konkurrierenden Fischzuchtbetriebe von Azura in Dakhla zu einem ähnlichen Ergebnis und der Entscheidung, sich aus der Westsahara zurückzuziehen.
„ASC und LSQA zeigen, was es bedeutet, verantwortungsbewusst zu handeln, sich zu engagieren und zu lernen“, sagte Hagen. „Das steht in krassem Gegensatz zu Systemen wie MarinTrust und GlobalG.A.P., die auf dem Papier strenge Standards vorgeben, bei deren Anwendung jedoch wegschauen.“
Die Azura Group sah sich kürzlich einer Reihe von Kontroversen im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten in den besetzten Gebieten ausgesetzt. Im November stürmten französische Landwirt:innen das Logistikzentrum von Azura in Perpignan. Die Vereinigung Confédération Paysanne hat eine Klage eingereicht, in der sie dem Unternehmen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Importen aus der Westsahara vorwirft. Im Oktober reichten spanische Bauernverbände und eine Verbraucherorganisation bei den spanischen Behörden eine Beschwerde ein, in der Azura zu den betroffenen Unternehmen gezählt wurde.

Der Teil der Westsahara, in dem Azura tätig ist, wurde 1979 von Marokko gewaltsam besetzt, wodurch die Hälfte der sahrauischen Bevölkerung vertrieben wurde.
Im Jahr 2024 bekräftigte der Europäische Gerichtshof, dass Marokko keine Souveränität über das Land oder die Gewässer der Westsahara hat, und hob alle EU-Handelsabkommen für dieses Gebiet auf. Der Gerichtshof hat nun zum zehnten Mal in Folge entschieden, dass die Westsahara nicht zu Marokko gehört und dass der Handel mit diesem Gebiet ohne die Zustimmung der Sahrauis deren Grundrechte verletzt.
Der Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass die Gewässer vor der Westsahara, in denen Marokko Aquakultur betreiben will, nicht Teil der ausschließlichen Wirtschaftszone Marokkos sind.
Azura Aquaculture ist das einzige Unternehmen in diesem Gebiet, das nach dem ASC-Standard für Muscheln (Version 1.1) zertifiziert wurde. Das jüngste Zertifikat, das im Februar 2025 ausgestellt wurde, war von Bureau Veritas erteilt worden – der Zertifizierungsstelle, die den territorialen Ansprüchen Marokkos am nächsten steht. Bureau Veritas bezeichnet die Westsahara als „südliche Provinzen Marokkos”.
Das Zertifikat vom Februar 2025 enthält falsche geografische Angaben, da es als Herkunftsort „Dakhla, Marokko” angibt. Bureau Veritas hat auf die Schreiben von WSRW nicht reagiert.
Azura macht auf seiner Website weiterhin falsche Angaben zur Herkunft seiner ASC-zertifizierten Muscheln und behauptet, diese würden in Marokko produziert – trotz Warnungen von WSRW und trotz Klarstellungen des EuGH, die eine korrekte Kennzeichnung vorschreiben. Im November 2025 veröffentlichte das Unternehmen politische Propagandabotschaften in seinen sozialen Medien, in denen es die illegale Besatzung und den marokkanischen König lobte.
Die landwirtschaftlichen Tochtergesellschaften von Azura in Dakhla führen verschiedene Zertifizierungen auf. Mehrere Zertifizierungssysteme haben sich jedoch entweder geweigert, einzugreifen, oder weisen gravierende Mängel auf:
Western Sahara Resource Watch (WSRW) hat ASC erstmals am 29. November 2024 kontaktiert.
Im September wandte sich WSRW an den italienischen Fischhändler Conkilia, der Azura-Produkte aus Dakhla „in Marokko” verkaufte. Das Unternehmen hat nicht geantwortet.
Das vorherige Zertifikat von Azura Aquaculture [Download hier] wurde 2019 von Global Trust Certification ausgestellt, einem Unternehmen, das nun zur irischen Niederlassung von NSF International gehört. WSRW wandte sich zur Klärung dieser Angelegenheit an NSF, erhielt jedoch keine Antwort.
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